Annika Scheffel: Sommer auf Solupp

  Heilsame Ferien

Düstere Zeiten liegen hinter der Familie Fröhlich, die ihrem Namen gerade so gar keine Ehre macht. Nach einer „Geradenochmalgutgegangen“-Erkrankung von Vater Tom ist jedes der fünf Familienmitglieder auf seine eigene Weise mit der Verarbeitung von Verlustängsten und Verunsicherung beschäftigt. Der vierzehnjährige Sohn Kurt, der sich während der Krankenhausaufenthalte des Vaters liebevoll und verantwortungsbewusst um die jüngeren Geschwister kümmerte, hat sich völlig zurückgezogen, mit Walkman am Ohr und in der Kapuze seines schwarzen Hoodies versteckt. Die etwas jüngere Mari, aus deren Sicht die Geschichte konsequent und sehr glaubhaft in personaler Erzählweise erzählt wird, fühlt sich seit der Rückkehr des Vaters einsamer als zuvor, kämpft mit Eifersucht und Neid, weil seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen, und hat deshalb zugleich ein schlechtes Gewissen. Bela ist mit seinen fünf Jahren zuletzt immer stiller geworden und zeigt Berührungsängste zum Vater, der wiederum vor Müdigkeit kaum am Familienleben teilnehmen kann. Mutter Paula, eine Ärztin, wird in ihrem Bestreben, allen und allem gerecht zu werden, immer hektischer. Zum kollektiven Entsetzen bucht sie einen sechswöchigen Familienurlaub auf der kleinen Insel Solupp irgendwo weit draußen im Meer, die in keinem Atlas zu finden ist. Bei „Ruhe! Meer! Sonne! Solupp!“ (S. 14) soll die Familie genesen . Ob der Plan aufgeht?

Ein Abenteuerbuch für Kinder ab zehn…
Das Kinderbuch Sommer auf Solupp von Annika Scheffel kann man auf ganz unterschiedliche Art lesen. Für die junge Zielgruppe ab etwa zehn Jahren ist es in erster Linie ein spannender sommerlicher Abenteuerroman mit neuen Freundschaften, Tierbegegnungen, alten, ineinander verwebten Inselgeheimnissen, die es zu lösen gilt, und natürlich einem Happy End. Ein wenig Fünf Freunde, ein wenig Ferien auf Saltkrokan mit sehr viel idyllischer Inselatmosphäre, Meeresbrandung, Walfänger- und Piratengeschichten, einem alten Schatz, einem mysteriösen Wort, das überall auftaucht, einem geheimnisvollen Fremden, vielen Freiheiten für die Geschwister und ihre neuen Freunde, einem gemütlichen reetgedeckten Heckenrosenhaus, herrlichen Gerüchen „nach Heckenrosen und Salzwasser und Sommersprossen und Karamelleis mit Sahne“ (S. 20) und einer explodierenden Farbenpracht rundherum, die ganz im Gegensatz zum vorherigen Grau steht. Mari und Bela vergessen ihre Vorbehalte deshalb schnell nach der Ankunft und auch Kurt kann ab der Mitte des Urlaubs dem Reiz des Unbekannten und der Inselgeheimnisse nicht mehr widerstehen.

So könnte das reetgedeckte Heckenrosenhaus auf Solupp aussehen. © B. Busch

… und noch viel mehr
Mehr als die Abenteuergeschichte und die idyllischen Ortsbeschreibungen stand für mich als erwachsene Leserin jedoch die traumatische Vorgeschichte und die allmähliche Genesung der einzelnen Familienmitglieder im Zentrum. Sehr behutsam und mit viel Einfühlungsvermögen beschreibt Annika Scheffel, wie Kurt, Mari, Bela, Tom und Paula jeweils im eigenen Tempo und auf individuelle Art und Weise zu sich selbst und schließlich auch wieder zueinander finden, immer aus Maris Blickwinkel, ohne die jüngeren Leserinnen und Leser zu überfordern und gänzlich ohne Pathos und Kitsch.

Sommer auf Solupp ist deshalb trotz des schwierigen Themas kein trauriges, sondern ein locker erzähltes, überaus beglückendes, sehr empfehlenswertes Buch über einen märchenhaften Kindersommer, einen Sehnsuchtsort für uns alle und einen Neubeginn:

Verrückt, denkt Mari, dass man, um sich nicht mehr einsam zu fühlen, anscheinend an den abgelegensten Ort der Welt reisen muss. (S. 311)

Annika Scheffel: Sommer auf Solupp. Thienemann 2021
www.thienemann-esslinger.de

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